Maria Blahutova soprano drammatico d’’agilità
  Kein Singen ohne Schweigen   Wenn ich meine Gesangswelt beschreiben soll, muss ich von meiner Kindheit an beginnen. Jeder Mensch ist zum Singen geboren, ob er sich davon bewusst ist, oder nicht. Inzwischen wurde auch von der Wissenschaft bewiesen, dass die Muskulatur, die man vorwiegend zum Sprechen nützt, in erster Linie zum Singen vom Schöpfer geplant war. Darum trägt jede menschliche Sprache den Gesang in sich. Schon als ganz kleines Kind war ich von diesem „Talent“ fasziniert. Bevor ich die Farben unterscheiden konnte, konnte ich die Intervalle der Kinder- und Volkslieder mit meinem „farbenliebenden“ Gehör mühelos erkennen. In unserer Familie war die Musik zu Hause. Dank dessen durfte ich das Musizieren vis-a-vis beobachten. Ich fühlte mich vor allem vom Klang der Geige magisch angezogen. Einmal war ich alleine und fand zufällig in einem Raum ein geöffnetes Geigenfutteral auf dem Boden. Ich hielt den Atem an, nahm die Geige sowie den Geigenbogen mit meinen zu kleinen Händen und begann nach oben und unten zu intonieren. Was für ein Glück war es für ein fünfjähriges Mädchen, dass gleich auf den ersten Versuch reine Klänge der C-Dur Skala daraus kamen. Ebensolche Freude erlebte ich beim Singen von anspruchsvollsten slowakischen Volksliedern, den sogenannten „Trávnice“, die immer mit dem überspannten „legato“ und gleichzeitig mehrstimmig interpretiert werden sollen. Es war für mich eine abenteuerliche Selbstverständlichkeit, die Nebenstimme zur Hauptmelodie spontan mitzusingen. Solche „Gesangsübungen“ trainierte ich mit meiner Mutter „einfach nur so“ bei den Hausarbeiten. Der Gesang war für mich während der Schulzeit ein Rettungsanker. Es war meine Gewohnheit, die Verse von Gedichten automatisch zu singen. Dadurch wurde das Auswendiglernen von langen Strophen eine nur ein paar Minuten dauernde Hausaufgabe, doch mit einem resultierenden Problem - die Rezitation vor der ganzen Klasse ohne zu singen beginnen. Damals ahnte ich noch nicht, dass in meinem Leben in ungefähr zwei Dekaden später ein sehr ähnliches und doch ganz anderes Erlebnis kommen würde. Aufgrund einer sehr schwerer Infektionserkrankung durfte ich jahrelang kaum reden. Das Schweigen war mein tägliches Brot und in jener Stille hörte ich Musik, die ich nicht einmal ausschalten konnte. Die Flucht vor solcher inneren „Regung“ war unmöglich, obwohl mein neuro-muskuläres System paretisch wurde. In dieser Zeit voll von schmerzhaftem Widerspruch kam eine gewisse Antwort von meinem Beichtvater: „Maria, du singst anders!“ Auf seinen Befehl hin begann ich mein Schweigen, meine innen klingende Musik auch nach außen zu bringen. Zu meiner großen Überraschung entstanden Gebetsgedichte auf dem Papier vor mir. Durch dieses „Ventil“ ist für mich plötzlich alles klarer und einfacher geworden ... sogar die schwierige Bibelstelle: „Im Anfang war das Wort ... und das Wort war Gott“. Das Wort und der Gesang – ebendies ist inmitten meines Schweigens „Eins“ geworden. Durch die Erkrankung bekam ich so einerseits „ein Medikament“, das mir kein Arzt dieser Welt verabreichen konnte, andererseits „ein Ausdrucksmittel“, das mir kein Musikstudium vermitteln konnte. Nach sieben Jahren des schweigenden Wartens kam doch ein Blitz vom Himmel: Ich durfte wieder singen beginnen. Nur meine Stimme ist ein Puzzle geworden. Erst nach längerer Zeitstrecke erkannte man, dass ich die Gabe einer hohen dramatischen Koloratursopranstimme besitze. Die Stimmlippen bei diesem meistsporadischen Stimmfach sind bis heute mit unerklärbaren Paradoxen verbunden. Sie sind nämlich eher dick, aber trotzdem sehr beweglich und der höchsten Spitzentöne fähig. Dank ihrer Masse schaffen sie eine Gradation von der noblen Lyrik bis zur merkwürdigen Dramatik. So kann eine solche koloraturfähige Stimme sogar das Toben des großen romantischen Orchesters durchdringen. Mit gerade beschriebener „Stimmanomalie“ habe ich ein äußerst erstrebenswertes Ziel, das Belcanto-Fach inkl. Verdi-Repertoire mit den anspruchsvollsten Nuancen, die es in der Gesangsliteratur überhaupt gibt. Ein Sänger ist nie fertig. Er muss entschlossen suchen, was das heißt, mit dem echten „Belcanto“ zu singen oder wie komplex, edel und fein ist die Regel „Chi sa respirare, sa cantare.“ Die höchste Gesangskunst kann jederzeit durch irgendeine „Instantvariante“ missinterpretiert werden. Die richtige Technik ist der Grundstein, auf dem die Botschaft einer Gesangspartie offenbart und transmittiert werden darf, doch ohne wahre Überzeugung und Aufrichtigkeit des Interpreten wirkt alles steril und verfälscht. Da sollte man mit ein paar Fragen und Erscheinungen konfrontiert werden, um ehrlich nach der Kunst zu suchen. Wie wird z.B. eine Wahnsinnsszene von einem Interpreten inkorporiert/gesungen/dargestellt, der keine reife Erfahrung mit „Mitleiden“ und „Durchleiden“ hat? Oder wie wird von einem durch Launenhaftigkeit, Rivalität, Untreue, Manipulation usw. geprägten Künstlerkreis die selbstlose Liebe auf dem Podium präsentiert? Oder wie kann ein Sänger, der den auferstandenen Christus mit Gleichgültigkeit, oft sogar auch mit Verächtlichkeit ansieht, die weltbekannten Arien wie „I know that my Redeemer liveth“, „O, Divine Redeemer“ („Repentir“), „Agnus Dei“ oder die Passionsmusik überhaupt mit Hingabe interpretieren? Wie tief werden dann auch die christlichen Inhalte und Gebete mancher Opern dargestellt oder eher verunstaltet? Und ... warum ist eigentlich die Obszönität in den verschiedensten Schattierungen eine besondere Gewährleistung für den künstlerischen Erfolg geworden? Warum werden die Bühnenbretter immer deutlicher als Plattform zur grenzüberschreitenden Selbstinszenierung sowie unanständigen Provokation im Namen der Freiheit ausgenutzt trotz der evidenten Proteste seitens der Theaterbesucher? Wie groß ist heutzutage die Chance fürs Publikum die authentische und kitschfreie Kunst, die bis ins Knochenmark durchgeht, zu genießen? Warum ist immer öfter das blitzende Scheingold hochgeschätzt und wozu werden uns verdrehte Kunstwerte aufgedrängt? Warum ... „Des Kaisers neue Kleider“ ... Ohne Echo – die sensiblen Zuhörer am besten in einem schönen Raum mit der „akkuraten“ Akustik kann die ganze Fülle des Musikerlebnisses nicht erreicht werden. In diesem Sinne verlangt das Phänomen des Sakralraums eine größere Aufmerksamkeit. Trotz der heiklen Mischung von ständig entstehenden Verzögerungen (noch deutlicher bei Orgelbegleitung) und Volumentäuschungen darf ein Sänger keinesfalls etwas mehr/weniger oder anders „tun“. Jede kleinste Fehlkompensation des Körpers endet im Ungleichgewicht des ganzen Instrumentes und so im Verlust vom wahren Kern des Klanges. Ohne dieses ausgeglichene Innenleben bekommen die Sensoren des Publikums anstelle eines „edlen Tranks“ nur eine „trübe Flut“ zum Auskosten. Was anderes soll das „Belcanto“ im tiefsten Sinne heißen als das „Magnificat“, wenn ... mein Geist jubelt über Gott ... nämlich über „das Wort“ aller Musik?! Das Singen auf der Chorempore oder unter einem Kuppelgewölbe ist also gar nicht so einfach, oder doch? Man muss beim „Produzieren und Vermitteln“ jedes einzelnen Tones eigentlich nur dem einfachsten Weg folgen. Dies ist dann die wahre Kunst, die immer das Einfachste im Blick hat. Ich habe dabei einen unaussprechlichen Bonus – meinen Ehemann Jan als Begleiter und Korrepetitor. So wird (nicht nur) das Singen für mich sehr viel einfacher ... Darum geht es ja gerade, denn das Allereinfachste ist die Liebe!  				 								Mária Blahutová  								       AD 2020
 Was würde Richard Wagner  über die Dekadenz  in der heutigen Gesangskunst sagen?   Zum Glück gibt es auch heutzutage Wissenschaftler wie James Stark, die nicht schweigen mögen, wo dringend zu appelieren ist. In seinem Buch "Bel canto. A History of Vocal Pedagogy." trägt u. a. auch einige sehr offene Äußerungen von Richard Wagner bezüglich der entschwundenen Belcanto-Kunst auf den Konzert- und Theaterpodien (egal auf welcher Ebene) vor. Im Jahre 1847 schickte Wagner seine Nichte direkt zum Manuel Garcia (Jr.), damit sie bei ihm Belcanto-Technik in größerer Tiefe studierte. Als Sopranistin stellte sie die Rolle der Elisabeth (Tannhäuser) zwei Jahre früher, d. h. mit 19 Jahren dar. Sie studierte auch bei Pauline Viardot, Garcias Schwester. Wagner schätzte Garcia als den besten Lehrer der alten italienischen Gesangsschule. Im Jahr 1876 lud er Garcia nach Bayreuth ein, um mit Sängern für das erste Festival zu trainieren. Garcia konnte allerdings der Bitte nicht entgegenkommen, da er zu dieser Zeit sehr beschäftigt in London war. Wagner pries die Art und Weise der alten italienischen Gesangsschule schon in seinen jungen Jahren; es reicht aus, wenn man sich sein Essay "Pasticcio von Canto Spianato" aus dem Jahre 1834 anschaut. Später kritisierte er ziemlich entschieden die moderne Gesangspedagogik an deutschen Konservatorien, wobei er sehr konkret auf enorme Defizite der Belcanto-Kunst hinwies: "Heute kann man kaum ein schönes und ausgefeiltes Trillo hören, sehr selten einen vollkommenen Mordent; große Rarität stellen auch klanglich gut gerundete Koloratur, authentisches nicht affektiertes mitreißendes Portamento, oder vollkommene Ausgeglichenheit des Stimmregisters wie auch perfekte Intonation bei verschiedenen Nuancen wie etwa Steigerung und Verringerung der Lautstärke vor." Wagner setzte fort und klärte, dass die Stimme das eigene Charakter nicht durch Forcieren der Lautstärke gewinnt, sondern nur durch "echten italienischen kantablen Stil". Er ließ sich in aufgezählten Äußerungen als ein wahrer Belcantist erkennen.  Was würde Richard Wagner über die kulminierende Dekadenz in der heutigen Gesangskunst sagen? James Stark endet sein Werk mit einer "sprichwörtlichen" Koda: Das Belcanto-Geheimnis. Er stützt sich dabei sehr konkret auf Manuel Garcia, der ganz deutlich über das Geheimnis beim Trainieren der echten Belcanto-Kunst sprach und schrieb. Gleichzeitig bietet uns der Wissenschaftler seine Kernaussage an, und zwar als Antwort auf die Frage, warum sich der echte Belcanto-Stil unter verschwundenen Spezies befindet. Da in der neuen Ära gerade jenes Geheimnis verlorengegangen ist, ist mit ihm auch die Belcanto-Kunst unerbittlich gegangen. Das vermessene Schreiben vom Jahre 1950 von George Bernard Shaw ist dafür ein anschauliches Beispiel: "Lassen wir uns nicht mehr von der goldenen Belcanto-Epoche hören. Wir singen viel besser als unsere Großväter. Ich habe alle die größten Tenöre (ausser Giuglini) gehört, von Mario bis Heddle Nash, und ich weiss, wovon ich rede; weil ich, ähnlich wie De Rezske, ein Schüler von meiner Mutter war, nicht von Garcia." Es ist einfach äußert provozierend, dass wir auch heute solche Persönlichkeiten wie Enrico Caruso oder Emma Destinnova (Emmy Destinn) als die größten Belcanto-Stimmen des goldenen Zeitalters aus verschiedensten Quellen erkennen dürfen, und nicht den von Shaw befürworteten Gesang "in der Maske" von Jean de Rezske. Die Zelebrität wie Maria Callas, die ihre Gesangstechnik bei der namhaften Belcantistin Elvira de Hidalgo aufbaute, machte für ihre ernsten stimmlichen Probleme mit der Intonation oder dem wackelnden Vibrato (wobble) verantwortlich gerade die Tatsache, dass sie sich viel zu viel von der echten Belcanto-Technik abwendete... Selbst Wagner bringt hilfreiches Licht in die ganze gegenwärtige Gesangskrise. Wenn man wagt, sich seine Zeilen unter die Lupe zu nehmen, dann darf etwas ganz Reizendes und gleichzeitig Skandalöses entdeckt werden. Einer der größten Opernkomponisten beschäftigt sich leidenschaftlich und äußerst konkret mit Phänomen "Belcanto-Gesang auf den Podien", einfach gesagt, er widmet sich mit ganzer Seele der Realität "was für eine Kunst und vor allem wie" es weitergegeben ist anstatt "wo genau und mit wem" der Auftritt stattfand. Zwischen Zeilen schafft er sogar eine klare Antwort auf "wo und mit wem" zu geben. Genau dies stellt ein knallendes Kontrast zum heutigen Zeitgeist in verschiedensten künstlerischen und medialen Ebenen vor. Nun, vor allem die Redewendung "wo und mit wem" ist als die häufigste Einfluss-Technik dem Publikum gegenüber benutzt, und zwar im wahrsten Sinne, den mysteriösen Begriff Belcanto ganz billig bei täuschenden Werbungen auszunutzen, um möglichst viel Geld bei Opernvorstellungen, Konzertfestivals oder mit CDs zu gewinnen. Einerseits beurteilt man die Belcanto-Technik von Garcia und seinen Fortsetzern wie M. Marchesi oder seinen Fortentwicklern wie D. Stanley oder J. Wilcox als überholt und veraltet, andererseits nimmt man den Mund zu voll gerade im Zusammenhang mit dem angeblich "bestmöglich ausgeführten" und dazu sogar "spezialisierten" Belcanto-Stil auf den und jenen Belcanto-Komponist. Was für ein Kollos voller brisanter Widersprüche und sinnloser Stimmfachspezialisierungen!  Die Aussage vom Jahre 1906 vom Musikkritiker W. J. Henderson, die die Shaws Meinungen vom Jahre 1885 über die gesangstechnisch destruktiv wirkende Musik von Wagner mäßigen sollte, klang einfach und dabei so ostentativ: "Die Sänger, die die echte alte italienische Methode beherrschen, also nicht die falsche, die in der ganzen Europa von halbtrainierten Sängern in der Wagners frühen Zeiten praktiziert wurde, haben gezeigt, dass wenn Wagners Musik mit einer opulenten Tonschönheit und einer perfekten Diktion gesungen ist, reißt sie in eine Höhe und Eloquenz mit, die derer ersten Exponente nie erreichen konnten." Im Jahre 1923 schrieb Blanche Marchesi, die neben ihrer breiten konzertanten Repertoirepalette auch Wagners Opern sang, diese sehr direkten Worte: "Richard Wagner wurde ganz speziell für gebrochene Stimmen beschuldigt. Ich muss es nachdrücklich verneinen." Sie, ähnlich wie G. B. Lamperti und Henderson, hatte keine Angst wiederholt zu betonen, dass die Sänger selbst für ihre Stimmprobleme verantwortlich sind, nicht die Musik von Wagner. Sie empfahl ausdrücklich, dass "die ganze Welt die Methode von Garcia adoptieren sollte", und dass "es nur zwei Methoden gibt: die richtige und die falsche. Wenn die Welt die ganze Wahrheit wissen wollte, würde sie bald ihrer Meinung sein." Übrigens darf man im gegebenen Kontext eine sich wiederholende Parallele in der Gesangshistorie wahrnehmen, da das ähnliche oder sogar dasselbe negative Gerede z. B. auch über einige Verdis Opernrollen gleich im 19. Jahrhundert verbreitet wurde und dank dessen leider bis heute erfolgreich etabliert ist. Nach dieser historischen Exkursion erlaube ich mir, auch meine künstlerischen Erfahrungen mit Belcanto-Technik wenigstens teilweise zu übermitteln. Einige davon mit einem ganz praktischen  Effekt findet man hier. (Es geht um einige meine Demonstrationen des Belcanto-Trainings und dabei sehr provisorische Aufnahmen mit Smartphone, die natürlich der wirklichen klanglichen Realität bei weitem nicht entsprechen können.) Die anderen sehr besonderer Art kommen an die Adresse von meiner Stimme aus den Reihen des Publikums, inkl. Belcanto-Feinschmecker oder Profimusiker zugute: ..."Wahnsinn! So einen Gesang haben wir noch nie erlebt... auch auf den größten Podien nicht! ...Wie kann man so eine überwältigende Wirkung mit der Stimme schaffen!? ...So ein unerhörtes Belcanto mit feinsten Nuancen, den Raum durchbohrenden Höhen und Tiefen... So ein Erlebnis bis zu den Tränen... Eine wundervoll befreiende Stimmintensität, die so schön ist, dass es weh tut... Was für ein schwieriges Repertoire im Rahmen eines Konzertprogramms und mit welcher Mühelosigkeit gesungen... So eine Stimme braucht endlich von der Welt entdeckt zu werden!..."  Ich kann nur eines zugestehen; dahinter steck schon die oben erwähnte Koda: Das Belcanto-Geheimnis. Es lohnt sich jenes Geheimnis zu suchen, zu finden und weiterzupflegen; denn erst so ist die echte unverfälschte Freude an beiden Seiten zu genießen, wenngleich in kleineren Kreisen (vorbei an der herrschenden businessmäßigen Belcanto-Selbstinszenierung). Dostojevskij deutete dies alles ganz klar an: "Die Schönheit wird die Welt retten."    								Maria Blahutova 								    A. D. 2024    Die benutzten Quellen:  - James Stark "Bel canto. A History of Vocal Pedagogy." - G. B. Lamperti "The Technics of Bel Canto"